Historie

Mannheimer Ökonomin: So hat sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewandelt

Von 
Joana Rettig
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Das Bild der „perfekten Hausfrau“ – das Modell der Versorgerehe galt lange als Norm. Frauen mussten sich entscheiden: Familie oder Beruf? © Istock

Mannheim. Die Frage nach dem Wert der Arbeit stellt sich gerade jetzt in der Corona-Pandemie immer wieder. Was ist mehr wert: die Arbeit in der Familie oder in einem Betrieb? Letztere wird vergütet. Wie schaffen wir es, eine gerechte Verteilung zu erreichen? Und: Geht denn beides? Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist vor allem ein Frauenthema, denn für den Mann hat sich auch in der Vergangenheit eine solche Frage nie gestellt. Das ändert sich im Moment. Aber wie hat sich dieses Thema entwickelt? Ein Rückblick.

Es ist schwierig, ein solches Thema historisch zu betrachten, erklärt Anne Hannusch. „In Deutschland fehlen uns dazu einfach die Daten“, sagt die Juniorprofessorin an der Uni Mannheim, die im Bereich Familienökonomie forscht. Sie verweist auf die amerikanische Expertin Claudia Goldin, die die Einstellung von Frauen zur Arbeit und Familie im Laufe der Zeit betrachtet.

„Der Wunsch nach Vereinbarkeit ist erst in den vergangenen 40 Jahren wirklich entstanden“, erklärt Hannusch. Davor gab es eine strikte Trennung. Goldin unterteilt in fünf Gruppen. Dabei betrachtet sie vor allem hochgebildete beziehungsweise ausgebildete Frauen.

Gruppe 1: Entweder, oder

Wir befinden uns in den Jahren 1900 bis 1919. Frauen, die in diesem Zeitraum in einem gebärtypischen Alter sind, müssen sich entscheiden: Will ich arbeiten oder eine Familie? „Zu dieser Zeit duften Frauen in den USA nach der Hochzeit bestimmte Berufe gar nicht mehr ausüben“, sagt Hannusch. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beschäftigt sich mit dem Thema. Demnach gilt sogar bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in praktisch allen gesellschaftlichen Gruppen das Modell der Versorgerehe als Norm: Der Mann versorgt, die Frau leistet die Hausarbeit.

Gruppe 2: Erst Arbeit, dann Familie

Hier ist es schwierig, die Argumentation von Goldin nachzuvollziehen. Wir befinden uns in den Jahren 1920 bis 1945. Ein großer Teil dieser Zeitspanne betrachtet also die NS-Zeit in Deutschland. Laut Goldin entscheiden sich Frauen in dieser Zeit erst einmal für einen Job, die Familienplanung wird also aufgeschoben. In Deutschland ist das ein wenig anders, wie bei der bpb nachzulesen ist. Zwar gilt das typische Hausfrauenbild als Norm. Aber: Der familienpolitische Sonderweg der Nationalsozialisten liegt nicht unbedingt darin, Frauen aus der Erwerbssphäre zu drängen. Eine Vielzahl politischer Maßnahmen fördert zwar die Vollhausfrau, typisch ist jedoch eine Paradoxie: Frauen sollen als Hausfrau und Mutter gestärkt werden, aber gleichzeitig abrufbar sein für außerhäusliche Arbeit. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen wird ab 1936 massiv gefördert, ab 1937 etwa bekommen nur noch erwerbstätige Frauen einen Heiratskredit.

Gruppe 3: Erst Familie, dann Arbeit

„Schon während dem Zweiten Weltkrieg gab es einen massiven Arbeitskräftemangel“, sagt Hannusch. Frauen werden ab 1945 noch dringender gebraucht. Sowohl in Deutschland als auch in den USA. So kommt es laut Goldin, dass gerade Frauen, deren Kinder keine Betreuung mehr benötigen, wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen. Die Priorisierung hat sich geändert. Diese Zeitspanne erstreckt sich über die Jahre 1945 bis 1966. Jedoch handelt es sich hier vor allem um zusätzlich Nebeneinkünfte. Empirische Studien in den sechziger und frühen siebziger Jahren zeigen bei jungen Frauen durchgängig eine familienzentrierte Lebensplanung. Wichtig ist aber auch, dass man zwischen West- und Ostdeutschland unterscheidet. In der DDR vertritt man nämlich die Auffassung, die Gleichheit der Geschlechter könne nur erreicht werden, wenn die Frau aus der familiären Versklavung und der ökonomischen Abhängigkeit vom Mann geführt werde. Frauen werden als eigenständiges ökonomisches Subjekt betrachtet und so in die gesellschaftliche Produktion einbezogen.

Gruppe 4: Karriere, dann Familie

Der Unterschied zwischen Gruppe 2 und Gruppe 4 liegt in einem Wort: Karriere. Sie ist etwas anderes als nur ein Job. Frauen haben in den 60er Jahren deutlich bessere Bildungschancen. Die bpb schreibt: „Die NS-Familienpolitik hinterließ ein kulturelles Problem: Die Hausfrauenehe und die Anerkennung der mütterlichen (Arbeits-)Leistung galten im Nachkriegsdeutschland und vor allem nach 1968 für viele kritische Intellektuelle als ein Produkt der faschistischen Mutterideologie.“ Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit und Freiheit – kurz: Emanzipation ist auf dem Vormarsch. Laut Goldin verzögert diese Gruppe, unterstützt von der Zulassung der Anti-Baby-Pille, die Ehe und das Kinderkriegen, um mehr Bildung und eine vielversprechende berufliche Laufbahn zu erhalten.

Gruppe 5: Vereinbarung

Seit den 80er Jahren versuchen Frauen, beides gleichzeitig zu bekommen. Also Familie und Karriere. Die Bestrebungen und Leistungen haben sich laut Goldin im letzten Jahrhundert stark verändert, mit einem höheren Einkommen, der Mechanisierung des Haushalts und technologischen Verbesserungen bei der Fruchtbarkeitskontrolle. Aber die Struktur der Arbeit und das Fortbestehen sozialer Normen, egal wie viel schwächer sie geworden sind, haben laut der Amerikanerin den Erfolg bei der Erreichung von Beruf und Familie eingeschränkt. Auch das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat sich im Jahr 2020 mit dem Thema befasst. Je schlechter Beruf und Familie miteinander vereinbar sind, desto mehr beruflichen Verzicht bringt Mutterschaft mit sich, heißt es dort. Hier geht es nun schon ums Eingemachte: Kinderbetreuung ist das Stichwort. Lange herrscht in Deutschland noch das Ideal des männlichen Hauptverdieners vor. Ab den Neunzigerjahren werden dann die Betreuungsplätze für Kinder schrittweise ausgebaut.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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