Universität Mannheim - Mehr Heimarbeit könnte Corona-Infektionen halbieren und die Verluste der Wirtschaft senken

Forscher für Homeoffice-Zwang

Von 
Walter Serif
Lesedauer: 
Der Anteil der Heimarbeiter ist im zweiten Lockdown wieder gesunken. © dpa

Mannheim. Der Staat greift in der Corona-Pandemie massiv in das Privatleben der Menschen ein. Beim Thema Homeoffice belässt er es bei Appellen an die Firmen – aber diese schöpfen die Möglichkeiten der Heimarbeit im zweiten Lockdown viel weniger als im ersten aus.

Jan Schymik von der Universität Mannheim kann das nicht verstehen. Der Volkswirt hat gemeinsam mit seinen Kollegen Harald Fadinger und Jean-Victor Alipour eine Studie verfasst, die zu einem bemerkenswerten Ergebnis kommt. „Das Homeoffice ist meines Wissens die einzige Anti-Corona-Maßnahme, die gleichzeitig das Infektionsrisiko stark reduziert und die Wirtschaft verglichen mit den Betriebsschließungen sogar entlastet“, fasst Schymik zusammen.

Demnach sinkt die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen (Inzidenz), wenn die Unternehmen ihre Beschäftigten mehr zu Hause arbeiten lassen. Jedes zusätzliche Prozent Homeoffice drückt die Inzidenz um einen Wert zwischen vier und acht Prozent – je nach Intensität. Umgekehrt bedeutet das aber: Arbeiten wieder weniger Beschäftigte im Homeoffice, steigen die Infektionszahlen erneut.

Dieser Effekt ist nach der Analyse der Mannheimer Wissenschaftler eingetreten – mit dramatischen Folgen. „Hätten wir gegenwärtig eine so hohe Homeoffice-Quote wie im Frühjahr, dann würde die Inzidenz statt 164 nur noch 82 betragen. Die Zahl der Infizierten würde sich also halbieren“, erklärt der Volkswirt.

Viele gehen wieder ins Büro

Vor diesem Hintergrund kann Schymik nicht verstehen, warum die Politik nicht mehr Druck auf die Unternehmen macht. „Die Bundesregierung müsste das Homeoffice dort anordnen, wo es möglich ist“, fordert er. Man könne die Beweislast umkehren, das heißt jedes Unternehmen müsste dann nachweisen, dass es den Mitarbeitern keine Heimarbeit anbieten könne.

Dass die Homeoffice-Quote gesunken ist, belegt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Vor der Pandemie arbeiteten demnach nur vier Prozent der Beschäftigten „ausschließlich oder überwiegend“ zu Hause. Dieser Anteil stieg beim ersten Lockdown im April 2020 auf 27 Prozent. Doch danach sank er wieder. Im Juni waren es nur noch 16 und im November 14 Prozent.

„Verantwortlich dafür müssen nicht nur die Chefs sein, in der Pandemie fühlen sich ja viele Menschen einsam, deshalb gibt es auch Arbeitnehmer, die wieder ins Büro wollen“, sagt Schymik. Doch gerade im kalten Winter ist das ein Problem. Im Großraumbüro und in den öffentlichen Verkehrsmitteln erhöht sich das Infektionsrisiko. Die Unternehmen schlagen dennoch die Appelle der Politik im zweiten Lockdown in den Wind. Statt mehr bieten sie weniger Homeoffice an. Das Ziel, die Kontakte zu verringern, wird durch einen zusätzlichen Effekt erschwert: Im Vergleich zum Frühjahr sitzen gegenwärtig viel weniger Beschäftigte wegen Kurzarbeit daheim. Im April 2020 waren es sechs Millionen, im November zwei Drittel weniger.

Diese Zahl könnte womöglich noch niedriger liegen. Denn das Homeoffice lohnt sich auch ökonomisch für jedes Unternehmen, das es anbieten kann. „Firmen die verstärkt auf Heimarbeit setzten, mussten seltener Kurzarbeit anmelden und außerdem niedrigere Gewinn- und Umsatzeinbrüche hinnehmen“, analysiert Schymik. Die Forscher werteten die Daten von 6000 Unternehmen aus. Das Ergebnis: Eine Firma, die mehr Homeoffice anbietet, reduziert das Kurzarbeitsrisiko um 72 Prozentpunkte und leidet weniger unter der Krise (minus 75). „Ich wundere mich, dass die Chefs nicht in aller Konsequenz auf das Homeoffice setzen. Denn dadurch senken sie die Infektionsgefahr für ihre Mitarbeiter und das Unternehmen gleichermaßen“, kritisiert der Forscher.

Arbeitgeber sperren sich

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat an die Unternehmen appelliert, schnell so viel Homeoffice wie möglich anzubieten. „Wir brauchen, wo immer es geht, die Möglichkeit für Beschäftigte von zu Hause aus zu arbeiten, wo das sinnvoll und möglich ist, und zwar sofort“, sagte der SPD-Politiker nach Gesprächen mit Personalvorständen mehrerer großer börsennotierter Unternehmen.

Arbeitgeber und Industrievertreter wehrten sich zugleich gegen mögliche strengere Vorgaben. dpa

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen