Deutsche lieben es, mit Münzen oder Scheinen zu bezahlen – mit ein Grund ist der langsam voranschreitende Breitbandausbau, sagt ZEW-Finanzexpertin Karolin Kirschenmann.
Frau Kirschenmann, wie sehr lieben wir Deutschen unser Bargeld?
Karolin Kirschenmann: Sehr. Immer noch sehr. Und man könnte meinen, die jungen Menschen sind eher technikaffin, die zahlen lieber mit alternativen, mit digitalen Möglichkeiten. Aber das ist nicht so. Immer noch ungefähr die Hälfte der Zahlungen im Einzelhandel werden bar getätigt. Wobei diese Zahlen noch vor der Corona-Zeit erhoben wurden. Aber das geht durch alle Altersgruppen hinweg. Es gibt zwar leichte Schwankungen, die Zahlen liegen aber zwischen 45 und 55 Prozent...
... die mit Bargeld zahlen?
Kirschenmann: Ja, im Einzelhandel. Aber die Dinge ändern sich – nur eben sehr langsam. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl der Zahlungen ohne Bargeld – also über Karten oder Apps – verdoppelt. Aber wir starten von einem niedrigen Niveau. Verdoppelt klingt groß, wenn man in die nordischen Länder schaut, dann werden dort immer noch fünf- bis sechsmal so viele elektronische Transaktionen durchgeführt.
Gibt es regionale Unterschiede?
Kirschenmann: Es gibt einen Unterschied, der mit der Dichte der Geldautomaten zusammenhängt. Das ist auch mit ein Grund, warum es hier viel leichter ist, den Bargeldkreislauf aufrecht zu erhalten, als in Ländern wie Schweden oder Finnland, die sehr dünn besiedelt sind. Abgesehen von einigen großen Städten. Deutschland ist weitestgehend dicht besiedelt. Und für Banken ist es ein großer Kostenfaktor, einen Geldautomaten zu installieren – in dicht besiedelten Gebieten lohnt sich das.
Das klingt, als sei das nicht nur kulturell oder psychologisch geprägt, sondern auch strukturell.
Kirschenmann: Beides. Eine Studie der Bundesbank etwa beschäftigt sich damit, warum die Deutschen ihr Bargeld so lieben. Dabei ist ein Aspekt auch diese Struktur. Aber die geht zusammen mit einer Art erzieherisch-psychologischem Aspekt: Die Banken in Deutschland halten sich bei dem Thema raus. In Schweden gab es einmal eine Kampagne, ganz explizit von den Banken. Sozusagen mit dem Motto: Bargeld braucht nur noch deine Oma und der Gangster. So haben die Banken die Stimmung mit beeinflusst. So offensiv gibt es das hier eher weniger.
Sie meinen, die Banken machen nicht genug Druck?
Kirschenmann: Bei manchen Produkten ja. Die Banken stellen auf online um, und man zahlt immer mehr Gebühren für Angelegenheiten, die mit einem Besuch in der Filiale zusammenhängen. Aber was das digitale Bezahlen angeht, sehe ich keine so große Meinungsmache.
Ein weiterer Punkt sind die Transaktionskosten: Einzelhändler zahlen dafür, wenn man mit Karte zahlt. Deshalb kann man in kleinen Betrieben erst ab einem bestimmten Wert die Karte zücken.
Kirschenmann: Richtig. Das ist auch ein interessanter Punkt, weil man oft denkt, es hänge nur am Verbraucher. Es liegt auch am Handel, der nicht bereit ist, die Gebühren für diese Transaktionen zu bezahlen.
Ist das in Deutschland anders als in anderen Ländern?
Kirschenmann: Die Gebühren gibt es sicher überall, denn bestimmte Firmen stellen diese Dienstleistung kostenpflichtig zur Verfügung. Ich glaube, es hat eher etwas damit zu tun, dass wir die Kosten des Bargeldsystems nicht rechnen, weil wir das System schon so lange kennen. Es ist aber nicht so, dass Bargeld umsonst ist. Dass jemand für die Bargeldversorgung zuständig sein muss, die Kasse ausgezählt werden muss, Sicherheitsinstallationen, um sich vor Überfällen zu schützen – das Handling mit Bargeld braucht Zeit und Arbeitskraft.
Einige Banken verlangen Gebühren für das Einzahlen von Kleingeld. Wie teuer ist Bargeld?
Kirschenmann: Eine genaue Zahl kann man da nicht nennen. Aber letztendlich ist Bargeld teuer. Vor allem die Herstellung von Scheinen und die Münzgeldprüfung sind kostenaufwendig.
Und ein digitales System?
Kirschenmann: Auch ein digitales System kostet. Allein die technische Ausrüstung oder die zur Verfügung Stellung der Infrastruktur – die in Deutschland auch noch nicht weit genug vorangeschritten ist.
Sprechen Sie vom Breitbandausbau?
Kirschenmann: Ja, und WLAN. Wenn ich in Deutschland mit Karte zahle, ist es häufig noch langsamer, als wenn ich einen Zehn-Euro-Schein hinstrecke. In Deutschland ist das Internet an vielen Orten zu langsam. Der Ausbau ist aber eine hohe Investition. Hinzu kommt der Kostenpunkt der Cybersicherheit.
Ist das typisch deutsch? Wir sind mit unseren Daten recht penibel...
Kirschenmann: Definitiv. In Skandinavien geht man mit diesem Thema anders um. In Finnland hat man eine Sozialversicherungsnummer – und die ist quasi der Link zu allem. Ich habe dort gelebt. Als ich umgezogen bin, habe ich meine Adresse einmal geändert und das wurde an alle meine Dienstleister weitergeleitet. Das wäre in Deutschland undenkbar. Aber ich will das in diesem Kontext nicht bewerten. Denn es gibt genügend Beispiele, wo mit Daten viel Schaden angerichtet wird.
Die Digitalisierung ist durch Corona vorangeschritten – auch beim Thema Geld?
Kirschenmann: Auf jeden Fall. Was man an den ersten Zahlen sieht, ist spannend: Die Deutschen horten seit Corona mehr Bargeld zu Hause, aber zahlen häufiger elektronisch. Den größten Anstieg gab es beim kontaktlosen Zahlen. Daran sieht man, dass eine Krise viel verändert.
Wie viele Jahre geben Sie Deutschland, bis es so weit ist wie andere Länder?
Kirschenmann: Lange. Mindestens noch eine Generation. In Schweden wird gerade schon eine digitale Zentralbankwährung getestet.
So lange? Trotz Corona?
Kirschenmann: Ja, es kommt dabei aber auch darauf an, wie lange diese Krise anhält. Wenn das ein Dauerzustand wird, dann hat das Ganze sicher eine beschleunigende Wirkung.
Eine grundlegende Frage: Brauchen wir das denn unbedingt?
Kirschenmann: Es ist nicht per se besser, alles digital zu machen. Es gibt gute Gründe, Bargeld zu nutzen. Wenn ich bar bezahle, habe ich das sogenannte informationelle Selbstbestimmungsrecht. Das heißt, ich hinterlasse keine digitalen Spuren. Ich hinterlasse keine Daten, die hinterher miteinander verlinkt werden können – im Guten wie im Schlechten. Deutschland ist eine Demokratie und es wird viel dafür getan, um den Datenschutz zu garantieren. Aber wir sehen andere Länder wie China, wo Daten en masse gesammelt und genutzt werden, um die Bürger auf Spur zu halten. Dann gibt es Menschen, die setzen Bargeld mit Freiheit gleich. Auch ein Grund. Andere finden, wenn sie bar bezahlen, haben sie eine bessere Kontrolle über ihre Ausgaben. Letztendlich denke ich, sollte im Alltag weiterhin die Auswahl bestehen, in bar oder elektronisch zu bezahlen.
Forscherin am ZEW
- Karolin Kirschenmann ist stellvertretende Leiterin des Forschungs-bereichs „Internationale Finanzmärkte und Finanz-management“ beim Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
- Die Forschungsschwerpunkte der 40-Jährigen liegen im Banking und der (globalen) Finanzintermediation Dabei beschäftigt sie sich aktuell mit der Verflechtung von Banken in Europa und deren Auswirkungen auf die Ausbreitung von Krisen. Auch die Folgen von Krisen für die Kreditvergabe von Banken und für die Realwirtschaft sind Teil ihrer Forschung.
- Bevor sie zum ZEW kam, war sie als Assistant Professor an der Aalto-Universität in Helsinki tätig. 2011 promovierte sie an der Universität Heidelberg im Fach Volkswirtschaftslehre. red/jor (Bild: Anna Logue)
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