Mindestens bis zum 19. April müssen die Menschen das Kontaktverbot einhalten. Die meisten Menschen wissen, dass das nötig ist, doch nicht alle beherzigen das auch. Wir haben einen Verhaltensökonomen gefragt, woran das liegt und wie sich das ändern lässt.
ZEIT ONLINE: In der Corona-Krise sollen die Bürger umzudenken und Gewohnheiten ablegen. Aus Sicht eines Verhaltensökonomen: Wie fähig ist der Mensch, sein Denken und Verhalten zu ändern?
Florian Zimmermann Aus der Verhaltensökonomik ebenso wie in anderen Sozialwissenschaften oder der Psychologie weiß man, dass es Menschen grundsätzlich eher schwerfällt, Verhaltensmuster zu ändern. Aber während der jetzigen Pandemie zeigt sich, dass drastische Verhaltensänderungen möglich sind.
ZEIT ONLINE: Wie das?
Zimmermann Wenn die Politik glaubhaft machen kann, dass bestimmte Verhaltensmaßnahmen zwingend notwendig sind. Angst spielt hier sicherlich eine wichtige Rolle, sie bringt Menschen dazu, sich zu ändern, zumindest kurzfristig. Hinzu kommt, dass es staatliche Anordnungen gibt. Viele Menschen halten sich zurzeit daran, wohl auch, weil die andernfalls drohenden dramatischen Ereignisse unmittelbar bevorstünden.
ZEIT ONLINE: Ein fundamentaler Unterschied zur Diskussion über den drohenden Klimawandel.
Zimmermann Genau. Zwar wird der Klimawandel wahrscheinlich, nach allem, was die Wissenschaft heute weiß, sogar noch dramatischere Auswirkungen auf unser Leben haben als das Coronavirus. Aber in der Wahrnehmung vieler Bürger ist der Klimawandel noch weit weg. Das Coronavirus dagegen ist schon da, zeigt direkt Wirkung und erzeugt Angst. Angesichts einer derart unmittelbaren Bedrohung fallen den Menschen Verhaltensänderungen leichter.
ZEIT ONLINE: Aber sie müssen die Entscheidung, zu Hause zu bleiben, jeden Tag neu treffen. Das ist eine dauerhafte Konfliktlage, in der sich jedes Individuum befindet. Selbst wenn ich in Quarantäne bin, kann es Anreize geben, das Haus zu verlassen, weil ich geliebte Menschen sehen will oder Dinge tun möchte, die mir wichtig sind.
Zimmermann Es bleibt für den Einzelnen eine schwierige Entscheidung. Er könnte sich sagen: "Na ja, ich habe die soziale Norm, jetzt zu Hause zu bleiben, durchaus realisiert. Ich sollte mein Leben anpassen, mich einschränken, um nicht an der Verbreitung dieses Erregers beteiligt zu sein. Aber dem stehen meine anderen alltäglichen Wünsche gegenüber."
ZEIT ONLINE: Was folgt daraus?
Zimmermann Irgendwann wird der Wunsch vielleicht stärker, weiterzuleben wie zuvor. Die Frage ist, kann die neue soziale Norm dann mithalten? Wirkt sie auch weiterhin so stark, dass sie die notwendigen Verhaltensänderungen so lange wie eben nötig bewirkt?
ZEIT ONLINE: Was denken Sie?
Zimmermann Das hängt zum einen natürlich von der Entwicklung der Pandemie ab, der politischen Kommunikation, und auch davon, wie die entsprechenden Gesetze und Verordnungen durchgesetzt werden. Zum anderen hängt es von der eigenen sozialen Umgebung ab. Wir wissen sehr viel darüber, dass soziale Normen durch "soziale Bestrafung" gestützt werden. Ein Beispiel: Man sieht eine Gruppe von sechs Leuten, die ein Picknick macht, und nun gehen andere auf diese Gruppe zu und sagen: "Hören Sie mal, wir müssen doch jetzt alle aufpassen, dass sich das Virus nicht verbreitet." Diese Art von "sozialer Bestrafung" oder Zurechtweisung kann sehr effektiv sein, Verhaltensnormen auf Dauer durchzusetzen.