13.932 Teilnehmer 6.916 Gesprächspaare

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Kümmert sich Deutschland zu wenig um die Ostdeutschen? Haben Frauen in Deutschland die gleichen Chancen wie Männer? Leben die Alten auf Kosten der Jungen?

Vielleicht sind Ihnen diese drei Fragen in den vergangenen Wochen häufiger begegnet – auf ZEIT ONLINE oder den Internetseiten anderer deutscher Medien, etwa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Sächsischen Zeitung. Rund 18.000 Menschen haben sie bis heute beantwortet und sich damit für Deutschland spricht angemeldet, eine Art Datingplattform für politischen Diskurs. ZEIT ONLINE veranstaltet die Aktion bereits zum dritten Mal, gemeinsam mit Partnermedien in ganz Deutschland.

Aus den rund 18.000 Anmeldungen hat ein Algorithmus vor wenigen Tagen die perfekten Streitpaare ermittelt: Menschen, die möglichst nah beieinander wohnen, über politische und gesellschaftliche Streitfragen aber völlig unterschiedlich denken.

43,9 Jahre Durchschnittsalter

67,7 % Männeranteil

30,6 % Frauenanteil

0,3 Prozent haben ein anderes Geschlecht eingetragen,
1,4 Prozent haben keine Angaben gemacht.

Für rund 14.000 Teilnehmer konnten wir auf diesem Weg einen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin finden. (Etwa 4.000 Anmeldungen waren ungültig oder fehlerhaft.) An diesem Mittwochnachmittag werden sich Tausende dieser Gesprächspaare im echten Leben begegnen, um sich über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland, über Gleichberechtigung oder über Klimapolitik zu streiten. Von Angesicht zu Angesicht. Manchmal stundenlang.

Denken Frauen und Männer unterschiedlich?

Im Durchschnitt haben die vermittelten Streitpaare 4,5 von 7 Fragen unterschiedlich beantwortet. Es wird also kontroverser zugehen als in den Jahren zuvor. 2017 und 2018 fand Deutschland spricht schon statt, mit insgesamt rund 40.000 angemeldeten Diskutanten. Im vergangenen Jahr waren die Streitpaare im Schnitt in 3,3 von sieben Fragen unterschiedlicher Meinung.

Wer sind die Teilnehmenden in diesem Jahr? Was trennt sie? Denken Frauen und Männer unterschiedlich über die von uns gestellten Fragen? Antworten Junge anders als Alte? Ostdeutsche anders als Westdeutsche? Um das zu beantworten, haben wir die Angaben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Deutschland spricht anonymisiert ausgewertet.

Es zeigt sich: Der Teilnehmerkreis von Deutschland spricht ist etwas weiblicher, ostdeutscher und ländlicher geprägt als in den Vorjahren. Deutschland spricht erreicht einen vielfältigeren Ausschnitt der deutschen Gesellschaft. Dennoch sind einige Gruppen unterrepräsentiert. Zum Beispiel die Frauen: Etwa 68 Prozent der Diskutanten bei Deutschland spricht sind Männer, nur 30 Prozent Frauen. Oder die Landbewohner: Rund 57 Prozent der Teilnehmer wohnen in Großstädten, bundesweit beträgt dieser Anteil rund ein Drittel. Der Anteil der Ostdeutschen und Bewohner Ostberlins entspricht hingegen mit 17,1 Prozent etwa dem tatsächlichen Anteil an der deutschen Bevölkerung.

Die Teilnehmenden von Deutschland spricht sind insofern begrenzt repräsentativ. Dennoch zeigen sich in ihrem Antwortverhalten einige interessante Muster.

Uneins bei Chancengleichheit, Russland und Generationengerechtigkeit

Die umstrittenste Frage bei Deutschland spricht ist jene nach dem Verhältnis zu Russland. Rund die Hälfte der Teilnehmenden ist dafür, dass Deutschland engere Beziehungen zu Russland unterhält. Die andere Hälfte spricht sich dagegen aus. Betrachtet man einzelne demografische Gruppen, verschiebt sich das Bild auf interessante Weise: Frauen und junge Menschen etwa sehen engere Beziehungen zu Russland eher kritisch. Rentner und männliche Teilnehmer sind eher dafür, das Verhältnis zu Russland zu intensivieren. 

Das dahinterliegende Phänomen ist schon aus den beiden früheren Ausgaben von Deutschland spricht bekannt. Junge Frauen vertreten in der Regel liberalere Ansichten als ältere Männer. Der Meinungsunterschied zwischen den beiden Gruppen ist deutlich größer als jener zwischen Stadt- und Landbewohnern oder Ost- und Westdeutschen. 

Generell sind sich Ost- und Westdeutsche erstaunlich einig. Sogar auf die Frage, ob sich Deutschland zu wenig um die Ostdeutschen kümmere, antworteten Ostdeutsche und Westdeutsche nur unwesentlich anders. Eher entscheidet das Alter darüber, ob Teilnehmer die Frage mit Ja beantworten. Jüngere sind eher der Ansicht, Deutschland kümmere sich zu wenig, Ältere sind tendenziell anderer Meinung. 

Der Unterschied zwischen Jung und Alt ist bei allen Fragen stark ausgeprägt, vor allem bei der Frage nach der Generationengerechtigkeit. Deutlich mehr Junge als Alte sagen, dass die alte Generation auf Kosten der jungen Generation lebe. Auch sind die Jungen weniger oft der Ansicht, dass Deutschland durch Einwanderung unsicherer geworden sei. 

Jung und Alt unterscheiden sich besonders stark

Ab 17 Uhr werden sich bei Deutschland spricht Tausende dieser Gegensatzpaare treffen und diskutieren. Womöglich stellen sie dabei fest, dass sie weniger trennt als gedacht. Einen solchen Effekt legen zumindest Forschungsergebnisse des Bonner Ökonomen Armin Falk nahe. Falk hat mit zwei Kollegen Deutschland spricht im vergangenen Jahr untersucht. Die Studie wird in wenigen Wochen veröffentlicht, erste Ergebnisse liegen bereits vor.

Ein zentrales Ergebnis lautet: Schon ein zweistündiges Gespräch zwischen zwei Menschen mit unterschiedlichen ­politischen Ansichten kann die Polarisierung zwischen beiden Seiten abschwächen und Vorurteile abbauen. Auch in ihren politischen Ansichten näherten sich im vergangenen Jahr viele Teilnehmer an.

Der New Yorker Psychologe Peter Coleman beschrieb die Wirkungen der Gespräche in einem Interview unlängst so: Deutschland spricht könne dabei helfen, "die Mitte der Gesellschaft zu ermuntern, offen und gesprächsbereit zu bleiben". Dazu werden auch die Teilnehmer in diesem Jahr beitragen. Tausendfach.