Metaller - Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger greift die Gewerkschaft heftig an und warnt vor dem Ende des Flächentarifvertrags

Stresstest für Tarifpartner

Von 
Tatjana Junker
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Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger (r.) und der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann nach dem Pilotabschluss 2018. © dpa

Mannheim. Rund neun Monate lang läuft er noch, der Tarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie. Doch Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und geschäftsführender Gesellschafter des Heidelberger Pumpenspezialisten ProMinent, scheint die Pflöcke für die nächste Verhandlungsrunde schon mal festklopfen zu wollen. Der letzte Tarifabschluss habe „enorme Verwerfungen“ im Mittelstand ausgelöst, sagt Dulger in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Einige Unternehmen seien gar aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten.

Durch die Tagesstreiks, die die IG Metall in der letzten Verhandlungsrunde erstmals angewandt habe, sei zudem das Kräfteverhältnis zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern aus dem Gleichgewicht. Dulger drängt darauf, dass solche Streiks künftig nur noch nach einer gescheiterten Schlichtung erlaubt sein sollen. In letzter Konsequenz warnt der Arbeitgeberpräsident vor einem Ende des Flächentarifvertrags, wenn die IG Metall an ihrer Streiktaktik und Tarifpolitik festhält: „Wenn alle Unternehmen die Tarifbindung verlassen, kann die Gewerkschaft zusehen, wie sie sich im Häuserkampf durchschlägt.“

„Streik einziges Druckmittel“

Thomas Hahl, Zweiter Geschäftsführer der IG Metall in Mannheim, kann darüber am Dienstag nur den Kopf schütteln. „Wer den Flächentarifvertrag infrage stellt, riskiert den Brand in der Fläche“, sagt er – und schiebt gleich hinterher, was er damit meint. „Sobald ein Unternehmen aus dem Flächentarifvertrag austritt, kämpfen wir dort darum, dass die Entscheidung zurückgenommen wird – wenn es sein muss, auch mit Streiks.“ Für den jeweiligen Betrieb werde das am Ende möglicherweise viel teurer, als im Flächentarifvertrag zu bleiben.

Die Tagesstreiks, zu denen die Gewerkschaft während der letzten Verhandlungsrunde auch in einigen Betrieben der Region aufgerufen hatte, verteidigt Hahl. „Wenn sich die Arbeitgeber am Verhandlungstisch nicht bewegen, ist ein Streik das einzige Druckmittel, das uns bleibt. Und ein Tagesstreik ist für die Betriebe immer noch verträglicher als ein unbefristeter Streik.“ Dass der vergleichsweise hohe Abschluss von 2018 Unternehmen in die Tarifflucht treibe, könne man nicht stehen lassen: „In unserem Bezirk hat seither kein einziger Betrieb die Tarifbindung aufgegeben“, sagt Hahl.

Bei Südwestmetall, dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg, verweist man hingegen auf die langfristige Entwicklung: So habe es im Jahr 2000 landesweit noch 1090 tarifgebundene Unternehmen in der Branche gegeben, sagt Volker Steinmaier, Geschäftsführer Kommunikation bei dem Verband. Aktuell seien es noch 695 Unternehmen. „Im Moment führen wir eine sehr intensive Diskussion mit 20 bis 30 Firmen, die hoch unzufrieden sind. Wenn wir denen nicht das Signal geben können, dass sich die Tarifpolitik ändert, fürchten wir eine Reihe von Austritten.“ Dafür sei zwar nicht allein der letzte Tarifabschluss verantwortlich. „Aber er hat bei einigen das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Gewerkschaft und Arbeitgeber hatten sich im Februar 2018 auf 4,3 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten der Branche geeinigt. Zudem wurde vereinbart, dass Mitarbeiter ihre Arbeitszeit vorübergehend auf 28 Stunden senken können.

Andreas Gulyas, Juniorprofessor für VWL und Arbeitsmarkt-Experte an der Uni Mannheim, sieht Dulgers Warnungen vor allem als taktischen Zug: „Die Gewerkschaften sind in den letzten ein bis zwei Jahren aggressiver aufgetreten als bisher. Da wollen die Arbeitgeber frühzeitig signalisieren, dass das so aus ihrer Sicht nicht weitergeht“, vermutet er. Generell könne man nicht davon sprechen, dass die Arbeitnehmervertreter in Deutschland zu fordernd oder unvernünftig auftreten. „Im Gegenteil, im europaweiten Vergleich gelten sie eher als zurückhaltend.“ Grundsätzlich sei die Tarifpartnerschaft in Deutschland eine Erfolgsstory.

Der Flächentarifvertrag

  • Der Flächentarifvertrag schafft in Deutschland gleiche Rahmenbedingungen für die Beschäftigten einer Branche in einer abgegrenzten Region.
  • Er sieht Mindestregelungen für Löhne und Gehälter, Sonderzahlungen oder Arbeits- und Urlaubszeiten vor. Damit werden die Arbeitskosten auf ein ähnliches Niveau gebracht.
  • Ausgehandelt wird der Flächentarifvertrag von der für die Branche zuständigen Gewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband. Rechtlich verbindlich ist er nur für die jeweiligen Mitglieder von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Auch nicht tarifgebundene Firmen orientieren sich in der Praxis oft am Flächentarif.
  • Die Arbeitgeber kritisieren oft, dass der Flächentarifvertrag zu starr ist und keine Rücksicht auf die Ertragskraft der einzelnen Unternehmen nimmt. Häufig gibt es aber Differenzierungs- und Öffnungsklauseln, um den Flächentarif an betriebliche Bedürfnisse anzupassen. dpa

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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