Anzeige

Wettbewerbsexperten Amazon könnte mit Prime-Abonnement auch gegen EU-Recht verstoßen

Kunden von Amazon Prime werden nicht nur bevorzugt mit Ware beliefert, sondern erhalten beispielsweise auch Zugang zum Streaming-Portal des Tech-Konzerns
Kunden von Amazon Prime werden nicht nur bevorzugt mit Ware beliefert, sondern erhalten beispielsweise auch Zugang zum Streaming-Portal des Tech-Konzerns
© IMAGO/MediaPunch
Der US-Konzern Amazon könnte nach Ansicht von Wettbewerbsexperten mit seinem Prime-Abonnement auch gegen europäische Gesetze verstoßen. In der vergangenen Woche hat die amerikanische Wettbewerbsbehörde FTC deswegen bereits Klage eingeleitet

Die regulatorische Luft für die Techriesen Alphabet, Meta und Amazon wird auch im Heimatland USA immer dünner. Die Wettbewerbsbehörde FTC schiebt Klage um Klage an – und die Unternehmen müssen eine Millionenstrafe nach der anderen zahlen. Jüngstes Ziel der FTC ist vor wenigen Tagen der E-Commerce-Riese Amazon geworden – konkret geht es dabei um den Premiumdienst Amazon Prime.  

Amazon habe „manipulative, aufdringliche oder irreführende Designs der Benutzeroberfläche“ verwendet, um Millionen von Verbrauchern zur Anmeldung bei Prime zu bewegen und ihnen die Kündigung zu erschweren, teilte die FTC vergangene Woche mit. Zwar habe Amazon, so heißt es in der Klageschrift, sein Kündigungsverfahren auf Druck der FTC im April geändert, doch die Verstöße hielten an. Die FTC fordert daher zivilrechtliche Sanktionen und eine dauerhafte Unterlassungsverfügung, um künftige Verstöße zu verhindern. Amazon weist die Vorwürfe vollumfänglich zurück. 

Die Kritik der FTC bezieht sich auf mutmaßlich manipulative Website-Designs, sogenannte „Dark Patterns“, bei Prime: Amazon soll es Nutzern bewusst einfach gemacht haben, versehentlich ein Prime-Abo abzuschließen. Und andererseits habe der Konzern Kunden die Kündigung gezielt erschwert. Ein Klick auf „Mitgliedschaft beenden“ habe etwa nicht zur Kündigung geführt, sondern nur eine Seite mit dem eigentlichen Kündigungsprozess geöffnet. Dieser habe dann vier weitere Webseiten, mindestens sechs Klicks und ein Menü mit 15 Optionen umfasst. Zum Abschluss eines Abos seien hingegen nur ein oder zwei Klicks nötig. 

Dark Patterns bald auch in der EU verboten

Die Klage in den USA erhöht auch den Druck auf europäische Wettbewerbshüter, Amazon stärker ins Visier zu nehmen. Schließlich unterscheidet sich das Prime-Programm in Europa kaum von dem in den USA. Nach Ansicht von Experten könnte Amazon auch hier gegen geltendes Recht verstoßen, sollte die Kommission zum gleichen Ergebnis kommen. „Das Verhalten von Amazon könnte meiner Meinung nach sowohl vom Bundeskartellamt als auch der Europäischen Kommission untersagt werden“, sagte der Mannheimer Wettbewerbsökonom Martin Peitz zu Capital. 

Miriam Buiten von der Universität St. Gallen verweist zudem auf anstehende Gesetzänderungen, die das kritisierte Verhalten betreffen: „Dark Patterns werden auch in Europa ausdrücklich verboten sein, sobald das Gesetz über digitale Dienste am 17. Februar 2024 in Kraft tritt“, so Buiten gegenüber Capital. 

Als Dark Patterns bezeichnet man eine Benutzerführung, die auf Webseiten oder in Apps gezielt bestimmte gewünschte Buttons hervorhebt und andere Optionen so unscheinbar macht, dass man sie übersieht. Die Kunden könnten so dazu gedrängt werden, gegen ihre eigentlichen Interessen zu agieren. 

In Amazons Fall war das offenbar extrem. Auf der ersten Seite des Kündigungsprozesses wurden die Kunden an „Ihre Reise“ mit Amazon und ihre Bestellungen erinnert, auf der zweiten bekamen sie dann Alternativen zum aktuellen Abonnement und teilweise auch attraktivere Preise angeboten. Auf beiden Seiten musste man jeweils die eine richtige von mehreren Optionen anklicken – oder die Kündigung wurde abgebrochen. Auf der letzten Seite musste man dann gar zwischen fünf verschiedenen Optionen wählen. Nur eine einzige von ihnen beendete dann tatsächlich das Abo. 

Nicht nur diese beanstandete Praxis werde ab 2024 in Europa anders laufen müssen, meint Buiten. „Es gibt noch einige andere Vorschriften, wie beispielsweise das Recht, eine Bestellung für ein kostenpflichtiges Abonnement innerhalb von 14 Tagen zu stornieren.“ Einige Mitgliedstaaten, wie etwa die Niederlande, hätten auch automatische Verlängerungen von Abonnements verboten. 

Zerschlagung aktuell wohl kein Thema

In den USA wird die zweite Klage binnen zwei Monaten gegen Amazon auch als Zeichen dafür gewertet, dass der Konzern möglicherweise eines Tages zerschlagen werden könnte. Die FTC-Vorsitzende Lina Khan hatte vor ihrer Nominierung durch Präsident Joe Biden eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, in der sie die Auflösung von Amazon gefordert hatte. Amazon beantragte daraufhin erfolglos, dass Khan von Angelegenheiten, die das Unternehmen betreffen, ausgeschlossen wird, und berief sich dabei auf ihre langjährige Kritik berufen. Khan selbst weist jeglichen Interessenkonflikt zurück. Die FTC fordere jetzt auch keine Zerschlagung, sondern eine Geldstrafe und einstweilige Verfügung, damit Kundinnen und Kunden nicht weiter geschädigt würden. 

Eine komplette Zerschlagung steht vorerst wohl auch nicht in Europa im Raum. Konkretes wettbewerbsschädigendes Verhalten könne bereits über das deutsche Kartell- und Verbraucherrecht sowie den europäischen Digital Markets Act untersagt werden, erklärt Ökonom Peitz. „Eine Zerschlagung von Amazon steht meines Wissens aktuell nicht auf der Tagesordnung.“ 

Der ganz große regulatorische Hammer drohe den Tech-Konzernen derzeit nicht, bestätigt Miriam Buiten. „Die Zerschlagung von Big Tech war eine Zeit lang einer der großen Slogans“, sagt sie. „Es scheint aber, dass die Regulierungsbehörden ihr Augenmerk auf die Verhaltensregulierung marktbeherrschender Plattformen gerichtet haben, in der EU zum Beispiel mit dem Digital Markets Act.“ Daneben scheine es eine strengere Fusionskontrolle zu geben: So hat die britische Wettbewerbsbehörde bereits die Übernahme von Giphy durch Facebook blockiert.  

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel