Fünf Fragen an Martin Peitz
Prof. Dr. Martin Peitz
Sie haben sich in den letzten Jahren schwerpunktmäßig mit Fragen der digitalen Regulierung befasst. Nun kommt der DMA, der Digital Markets Act. Sind Sie zufrieden damit?
Der DMA ist zunächst einmal ein Stück Papier, das der Europäischen Kommission neue und weitreichende Eingriffsmöglichkeiten gibt. Die große Frage ist, wie die Kommission damit umgehen wird. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass es große wettbewerbspolitische Herausforderung in der Digitalwirtschaft und eine Verfestigung der Marktmacht einiger weniger Digitalkonzerne gibt. Dieser Einschätzung stimme ich zu. Generell bevorzuge ich allerdings die Nutzung des Wettbewerbsrechts gegenüber einer Sektorregulierung. Deshalb sehe ich Vorteile in der vergangenen GWB-Novelle – Stichwort § 19a – gegenüber dem DMA, weil der 19a näher am Kartellrecht ist als der DMA. Wichtig in der Praxis wird sein, inwieweit Vor- und Nachteile von Eingriffen unter Artikeln 5, 6 und 7 des DMA abgewogen werden, oder ob diese Artikel mechanistisch zur Anwendung kommen. Ich sehe die Gefahr, dass ökonomische Analysen wenig Beachtung finden. Wem hier das Wort „ökonomisch“ nicht behagt, kann es meinetwegen ersetzen durch „fundierte Einzelfallabwägung von Vor- und Nachteilen“.
Glauben Sie denn, dass die Umsetzung funktionieren wird?
Ein wichtiges Thema wird sein, inwieweit regulatorisch die Offenheit von digitalen Ökosystemen angegangen wird. Der DMA kann hier über Interoperabilitätsverpflichtungen für Gatekeeper-Plattformen große Kraft entfalten. Allerdings ist vollkommen unklar, ob und wie dies in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann. Am ehesten gewinnt man eine Vorstellung darüber in Artikel 7 zu Kommunikationsdiensten wie WhatsApp. Fragen zur Umsetzung gibt es auch für andere Verbote und Verpflichtungen im DMA. Hier möchte ich die Verpflichtung zur Bereitstellung von Daten an Dritte und das Verbot der Selbstbevorzugung hervorheben.
Wenn wir mal abseits vom DMA schauen: Was beschäftigt Sie noch im Digitalsektor?
Neben der Umsetzung der DMA halte ich Fragen des Verbraucherschutzes im Digitalbereich für besonders wichtig. Das gilt insbesondere im Gesundheitsbereich. „Digital health“ birgt ein riesiges Innovationspotential, das der Bevölkerung in der Breite zugutekommen kann. Es gibt aber auch Gefahren, dass diese Potentiale nur teilweise ausgeschöpft werden oder dass Menschen geschädigt werden. Aus Wettbewerbssicht ist zu befürchten, dass es im Bereich „digital health“ zu einer starken Konzentration kommen wird. Regulierung kann hier wettbewerbs- und innovationsfördernd wirken. Selbst gut gemeinte Regulierung kann aber auch das Gegenteil bewirken.
In Deutschland wird über Entflechtungen diskutiert – allerdings nicht mit Blick auf Big Tech, sondern wegen des Tankrabatts. Eine gute Idee?
Eine Entflechtung birgt die Chance, Marktmachtprobleme strukturell zu lösen. In der internationalen Diskussion wird insbesondere über die verfestigte Marktmacht von GAFAM gesprochen. Bei großen Digitalkonzernen wäre aber ein Entflechtungsinstrument auf europäischer Ebene sinnvoll. Generell werden Entflechtungen als ein drastischer Eingriff gesehen. Auch wenn man das meiner Meinung nach differenzierter sehen sollte, wäre ein Entflechtungsinstrument sparsam anzuwenden. Eine Entflechtung stellt einen strukturellen Eingriff dar, der gegenüber anderen Eingriffsoptionen sorgfältig abgewogen werden muss. Insofern bietet es sich an, die Möglichkeit der Entflechtung im Zusammenhang mit einer erweiterten Sektoruntersuchung zu betrachten.
Auch Sektoruntersuchungen sollen schlagkräftiger werden.
Ich begrüße den Vorschlag von Wirtschaftsminister Habeck. Ich halte das Instrument einer Marktuntersuchung nach dem Vorbild Großbritanniens sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene für erstrebenswert. Es erlaubt der Wettbewerbsbehörde, Abhilfemaßnahmen anzuordnen. Festzulegen ist, wie ein solches Verfahren ablaufen muss, was Gründe für Abhilfemaßnahmen sind und welche Maßnahmen dem Kartellamt zur Verfügung stehen. Insbesondere würde ich es begrüßen, wenn Abhilfemaßnahmen missbrauchsunabhängig durchgesetzt werden können. Damit kann bspw. strukturellen Nachteilen von in den Markt eintretenden Unternehmen oder implizit kollusivem Verhalten entgegengewirkt werden. Bei den Abhilfemaßnahmen würde ich den gesamten möglichen Katalog von Untersagung bestimmter Geschäftspraktiken bis Entflechtungen zur Verfügung stellen. Das Kartellamt kann dann entscheiden, wie es sich aus diesem Katalog bedient.
Die Fragen stellte Prof. Dr. Rupprecht Podszun, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.