Der Volkswirt
Motivationskiller Steuerklasse 5
5 Minuten
Peter von Tresckow

Als im Februar langsam klar wurde, dass ein Ende der bei Eheleuten beliebten Steuerklassenkombination 3/5 näher rückt, empörte sich Markus Söder über die Plattform Twitter: Eine Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 „würde insbesondere für #Familien weniger Netto vom Brutto bedeuten“, schrieb Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Die FDP bellte zurück: Söder verbreite groben Unsinn. Abgesehen von bestimmten Sonderfällen bringe die geplante Reform keinen Nachteil für Ehepaare.

Tatsächlich beeinflusst die Steuerklassenwahl nur, wie viel der Arbeitgeber vom monatlichen Gehalt abzieht, hat aber keinen Einfluss auf die finale Einkommensteuerlast für das Ehepaar insgesamt. Dennoch glauben über 80 Prozent der verheirateten Steuerzahler, mit einer geschickten Wahl der Lohnsteuerklassen ihre Steuerlast reduzieren zu können. Das zeigt eine Studie des Bonner Ökonomen Jakob Wegmann und Kollegen. Spätestens mit der Steuererklärung im Folgejahr gleichen sich die steuerlichen Unterschiede aber wieder aus. Viele Arbeitnehmer betrachten trotzdem nur ihr monatliches Nettoeinkommen – und unterliegen damit einer weitverbreiteten Täuschung

Bei Ehepaaren hat die verzerrte Wahrnehmung im Zusammenspiel mit dem deutschen Steuersystem Konsequenzen für die Entscheidung, wie viel gearbeitet wird, zeigt die Studie. „Das ist einer der Gründe, warum Frauen in Deutschland im internationalen Vergleich weniger arbeiten“, sagt Wegmann und erklärt die Mechanik: Frauen wählen zugunsten ihres Mannes bislang häufig die höher belastete Steuerklasse 5, sehen ein kleineres monatliches Nettoeinkommen – und empfinden einen geringeren Arbeitsanreiz. „Wenn du Steuerklasse 5 wählst, wirst du auf dem monatlichen Lohnzettel fürs Heiraten bestraft.“

Bei 51 Prozent der Paare war die Frau schlechtergestellt

Ein Rechenbeispiel zeigt den Effekt: Angenommen, der Ehemann verdient im Monat 5000 Euro brutto, seine Frau 2500 Euro. Weil nach der Hochzeit beide Partner automatisch in Steuerklasse 4 eingeteilt sind, zahlt die Frau rund 218 Euro und ihr Mann rund 848 Euro Einkommensteuer. Die Steuerbelastung verhält sich proportional zum Einkommen. Zusammen zahlt das Paar monatlich rund 1066 Euro Einkommensteuer.

Wählt die Frau hingegen die höher belastete Steuerklasse 5, muss sie monatlich rund 507 Euro Einkommensteuer zahlen. Ihr Mann zahlt in Steuerklasse 3 nur rund 464 Euro, trotz seines doppelt so hohen Bruttoeinkommens. Zusammen wird für das Paar rund 971 Euro Einkommensteuer fällig. Der Vorteil gegenüber Steuerklasse 4 zahlt sich monatlich aus – aber nur bis zur nächsten Steuererklärung.

Paare mit unterschiedlichen Einkommen können über eine Wahl der Steuerklassen 3 und 5 also vorübergehend ihr gemeinsames monatliches Nettoeinkommen verbessern. Rund 56 Prozent der deutschen Doppelverdiener haben im Jahr 2018 diese Option gewählt. Doch nur in jedem zwanzigsten Fall überließ der Mann seiner Frau den Steuervorteil. Bei 51 Prozent der Paare war die Frau schlechtergestellt.

„Erfahrungsgemäß wählen Paare ihre Steuerklassen einmal“

Das Thema birgt Sprengstoff. Denn die benachteiligten Partner reagieren auf das geringere Nettoeinkommen mit einer Reduktion der Arbeitszeit, obwohl das gemeinsame Einkommen gleich bleibt, so das Ergebnis der Studie. Frauen in Steuerklasse 5 hätten mit einem Blick aufs Konto oft den Eindruck, ihre Arbeit sei weniger wert.

Wie spürbar ein geringeres Nettoeinkommen die Lust auf Arbeit drosselt, kann Wegmann anhand einer kleinen Steuerklassenreform aus dem Jahr 2010 herleiten. Bei Arbeitnehmern in Steuerklasse 5 werden seitdem auch Krankenversicherungsbeiträge bei der monatlichen Steuerberechnung berücksichtigt. So stieg also deren monatliches Nettoeinkommen. „Der Effekt war groß“, sagt Wegmann, der über Datenanalysen einen kausalen Effekt nachweisen konnte. „Frauen reagierten spürbar und haben mehr gearbeitet.“

Mit seinen Erkenntnissen hat Wegmann im persönlichen Umfeld schon „an manchen Abendessentischen einige Konflikte ausgelöst“, sagt er. Denn vielen Paaren sei die Verzerrung des Arbeitsangebots durch die Steuerklassenwahl gar nicht bewusst gewesen. „Erfahrungsgemäß wählen Paare ihre Steuerklassen einmal. Danach geraten dann über Jahre und Jahrzehnte die Entscheidung und ihre Konsequenzen in Vergessenheit.“ In einer Umfrage unter rund 500 Ehepartnern hätten laut Wegmann nur 20 Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen verstanden, dass die Wahl der Steuerklasse die eigentliche Steuerlast nicht beeinflusst.

Finanzministerium arbeitet an einem konkreten Gesetzentwurf

Der Effekt des Steuersystems auf die Arbeitszeit von Frauen hängt auch damit zusammen, wie Paare ihre Finanzen organisieren. Nur knapp die Hälfte der deutschen Ehepaare, bei denen der Mann den Steuervorteil erhalte, habe ein gemeinsames Konto, sagt Wegmann. Der Gedanke hinter den Steuerklassen 3 und 5 sei hingegen, dass es egal sei, welcher Partner welches Nettogehalt im Monat überwiesen bekomme. Die schlechtergestellte Frau werde in der Realität aber nur selten vom Partner kompensiert. Zudem mache bei rund 80 Prozent der Paare der Mann die Steuererklärung – und erhalte in der Regel auch die Steuerrückzahlung.

Abgesehen von Deutschland kenne er kein Land, in dem die Steuerlast zwischen Ehepartnern zulasten des Zweitverdieners in der Ehe verschoben werden könne, sagt Wegmann. Den bisherigen deutschen Sonderweg hält er für reformbedürftig. „Wenn es Politikziel ist, dass Frauen mehr arbeiten, dann sollte man die monatlichen Steuervorauszahlungen für den Zweitverdiener in der Ehe reduzieren.“

Die Ampelregierung hat sich schon im Koalitionsvertrag auf eine Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 geeinigt. Seit Anfang des Jahres arbeitet das Finanzministerium an einem konkreten Gesetzentwurf. Das Ehegattensplitting soll erhalten bleiben. Aber Ehepaare mit den Steuerklassen 3 und 5 sollen automatisch in die sogenannte Steuerklasse 4 mit Faktorverfahren überführt werden. Dabei berechnet das Finanzamt einen individuellen Aufteilungsfaktor für jedes Ehepaar und bestimmt damit die Steuerlast. In der Klasse 4 mit Faktorverfahren entsprechen die monatlichen Steuervorauszahlungen dann nahezu der tatsächlich fälligen Summe nach der Steuererklärung.

Die Umsetzung durch die Finanzbehörden braucht noch Zeit

Besonders für Ehepaare mit großem Einkommensunterschied erhöht sich so schon über das Jahr verteilt das gemeinsame Netto, verglichen mit einer Versteuerung in der normalen Steuerklasse 4. Ein Großteil des Splittingvorteils durch die Ehe zahlt sich damit bereits vor der Steuererklärung aus. Und zwar ohne dass ein Partner überproportional mehr Steuern zahlt als der andere. Zwar gibt es die Steuerklasse 4 mit Faktorverfahren schon seit 2010. Doch kaum ein Ehepaar nutzt sie.

Viele verheiratete Männer werden nach einer Reform ein geringeres Nettoeinkommen, viele Frauen ein höheres Nettoeinkommen auf dem Konto haben. Eine gefühlte Steuererhöhung, die praktisch keine ist, bleibt eine kommunikative Herausforderung.

Nachdem das Bundeskabinett den Gesetzentwurf vergangenen Mittwoch beschlossen hat, geht er nun in den Bundestag. Selbst wenn dieser und anschließend der Bundesrat der Neuregelung zustimmen, braucht die Umsetzung durch die Finanzbehörden noch Zeit. Mit einer praktischen Umsetzung der Reform könne frühestens Mitte der kommenden Legislaturperiode gerechnet werden, sagt der SPD-Mann Michael Schrodi. Das wäre rechnerisch im Herbst 2027. Spätestens aber vom Jahr 2030 an soll generell das Faktorverfahren gelten.

Quelle: F.A.Z. Artikelrechte erwerben
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