Angesichts der massiven Inflation kommt auch die EZB nicht mehr um die Zinswende herum. Doch der Politikwechsel erfolgt zu spät und zu kraftlos. Der Grund dafür ist die Sorge über die hohen Staatsschulden. Die Bürger werden vorerst mit hoher Geldentwertung leben müssen.
Man stelle sich die Lage im Euro-Raum als einen 10 000-Meter-Lauf zwischen der Inflation und der Europäischen Zentralbank (EZB) vor: Während die Teuerung inzwischen wohl mindestens über Kilometer zwei hinaus ist, hat sich die EZB nun endlich entschlossen, demnächst ebenfalls loszulaufen. Ob sie die Verfolgung zügig oder doch lieber gemächlich aufnehmen wird, will sie jedoch erst später entscheiden.
Aber immerhin, angesichts der hohen Inflationsraten wollen die EZB-Präsidentin Christine Lagarde und der EZB-Rat die seit dem Jahr 2015 laufenden Anleihekäufe auf den 1. Juli beenden und dann an der nächsten Ratssitzung am 21. Juli die erste Zinserhöhung seit 2011 vornehmen. Weitere Zinsschritte werden folgen. Spätestens im September dürften die derzeit noch bei –0,5 Prozent notierenden Negativzinsen nach acht langen Jahren schliesslich Geschichte sein. Allerdings ist die EZB mit ihrem Politikwechsel viel zu spät dran.
In der Euro-Zone lag die Inflation im Mai mit 8,1 Prozent weit über dem Zielwert der EZB von mittelfristig 2 Prozent. Es ist das höchste Niveau seit rund 40 Jahren. Auch die Kerninflation, ohne die volatilen Preise für Energie und Lebensmittel, notiert bei hohen 3,8 Prozent. Die Teuerung geht also bereits sehr stark in die Breite, wie die Konsumenten bei fast jedem Einkauf spüren. Zugleich notiert die Arbeitslosenquote im Euro-Raum auf dem tiefsten Niveau seit der Einführung des Euro, und die Konjunktur hält sich angesichts des Ukraine-Kriegs und drastischer Corona-Restriktionen in China erstaunlich gut.
Die Folgen des Kriegs, welche die EZB aus Selbstschutz überbetont, haben den allgemeinen Preisanstieg zwar forciert, er läuft aber schon viel länger. Daher ist es seit Monaten kaum noch nachvollziehbar, warum die EZB fortdauernd Anleihen in Milliardenhöhe erwirbt und an den Negativzinsen festhält. Eine kluge Geldpolitik hätte vorausschauender agiert und sich schrittweise von der ultraexpansiven Politik verabschiedet, denn eine Notenbank muss erfahrungsgemäss immer mit exogenen Schocks rechnen – dieses Mal waren das die Pandemie, die Lieferkettenprobleme und der Ukraine-Krieg.
Das neutrale Zinsniveau, bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wirkt, schätzt die EZB auf etwa 1,25 bis 1,5 Prozent, andere Ökonomen orten es eher über 2 Prozent. Die Zinsen der Notenbank liegen also noch weit unter dem neutralen Niveau. Solange dies der Fall ist, treibt das monetäre Umfeld die Inflation tendenziell weiter an – dabei sollte die Notenbank die Teuerung doch bremsen.
Die schon jetzt unangenehme Situation dürfte sich weiter verschärfen. Der Inflationsdruck scheint nämlich noch zuzunehmen. Beispielsweise ist der Preisdruck auf vorgelagerten Stufen anhaltend hoch. So sind die Erzeugerpreise im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland jüngst um 33 Prozent hochgeschossen. Diese Steigerungen werden sich auch auf die Preise für die Endverbraucher auswirken.
Zugleich kommt Schwung in die bisher mässige Lohnentwicklung. Während die Tariflöhne Ende 2021 im Euro-Raum um 1,6 Prozent gestiegen sind, legten sie im ersten Quartal dieses Jahres schon um 2,8 Prozent zu. Wer ferner auf die aktuellen Lohnforderungen der Gewerkschaften schaut, wird kaum daran zweifeln, dass sich die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale zu drehen beginnt. Dennoch werden viele Menschen in Europa im Jahr 2022 Reallohnverluste erleiden.
Inzwischen sorgen sich die Finanzminister vieler Euro-Länder um die Folgen der hohen Inflation für die Bürger und legen (oft wenig sinnvolle) Entlastungsprogramme auf. Während also die EZB bei ihrer viel zu lockeren Geldpolitik stets einige hochverschuldete Staaten wie Italien im Hinterkopf hat und sich mit ihren Anleihekäufen quasi um die Finanzpolitik kümmert, wollen die Finanzminister ihrerseits mit konzertierten Massnahmen der Inflation entgegenwirken.
Das kommentierte der Mannheimer Ökonom Klaus Adam jüngst auf Twitter mit der Bemerkung: «In der EU steht alles Kopf – die EZB kümmert sich um die Solvenz von Staaten, und die Finanzminister sorgen sich über die Inflation. War die Aufgabenverteilung in den EU-Verträgen nicht umgekehrt vorgesehen?»
Everything upside down in the #EU: @ecb cares about fiscal solvency & finance ministries worry about inflation.
— Klaus Adam (@klaus_adam) June 6, 2022
Didn’t the European Treaty assign tasks the other way round? https://t.co/IU5J6lKvA8
Mit der heutigen Ankündigung der EZB ist zwar ein erster Schritt gemacht. Doch in der Euro-Zone muss man auf absehbare Zeit mit hohen Inflationsraten rechnen, welche die Bürger ärmer machen und die Finanzmärkte für Aktien, Anleihen und andere Produkte unter grossen Stress setzen. Damit droht die EZB die Fehler zu wiederholen, die viele Zentralbanken in den 1970er Jahren gemacht haben.
Angesichts der strukturellen Mehrheit im Rat wird sich die EZB nämlich treu bleiben, indem sie die hochverschuldeten Staaten weiterhin schützt und jetzt auch noch der inflationären Versuchung erliegt, denn eine hohe Geldentwertung hilft den Mitgliedsstaaten schliesslich bei der Reduktion der Schulden. Damit verspielt die EZB ihre Glaubwürdigkeit und vernachlässigt sträflich ihr Mandat der Preisstabilität.
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Vielleicht kommen unsere derzeitigen Politiker ja auf die Idee auch Frau Lagarde , wie schon Herrn Draghi, das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Denen ist es zuzutrauen. Und wiederum wird die mittlerweile "verblödete"Mehrheit der Bevölkerung schweigen und bequem denken: "Die machen das schon richtig, die da oben." So ist es seit Jahren und das ist seit Jahren gewollt dahin gesteuert worden. "Deutschland ist ein reiches Land " wird ebenfalls seit Jahren und immernoch erzählt und täglich im In- und Ausland verkündet. Die Deutschen müssen immer und überall am meisten bezahlen. Außerdem sind sie immernoch mit großer Schuld behaftet unddas muss im In - und Ausland wachgehalten und gepflegt werden . Höheres Pro Kopf Vermögen und höhere Renten in den Ländern, die durch die haarsträubende Geldpolitik der EZB unterstützt werden, spielen bei der Geldpolitik keine Rolle. Wenn die führenden Politiker in Deutschland am Wohl ihrer Bevölkerung interessiert wären, hätten sie bei Wahl zur EZB Präsidentschaft einschreiten müssen . Betrogene deutsche Sparer und die damit verbundene Zerstörung der Altersvorsorge , die daraus teils jetzt schon resultierende Altersarmut, interessieren die bestsituierten Politiker und deren Beamten nicht. Ein erneut gutes Beispiel hierfür: Der Ausschluss der Rentner von der Einmalzahlung von 300 Euro . Es werden nicht nur in diesem Bereich harte Jahre kommen, an denen natürlich nur die äußeren Gegebenheiten und unvorhersehbaren Krisen schuld sein werden.
Erstaunlich diese Kommentare zur EU, glücklich scheinen die EU-Bürger nicht wirklich zu sein. Ganze Heere von Politikern, Beratern, Schaustellern, Hilfsdiensten usw. jeder hat ein gutes bis spitzen Einkommen, dazu noch die aussen Posten bei den Verbündeten. Da geht die Übersicht bald verloren. Verwunderlich ist es deshalb nicht, das man Abkommen mit dieser Organisation erst genau prüft, bevor unterschrieben wird.