Arbeitswelt - Interview mit Mannheimer VWL-Professorin Michèle Tertilt.

Warum die Corona-Krise vor allem Frauen im Job ausgebremst hat

Von 
Tatjana Junker
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Fehlende Betreu-ungsangebote bremsen Frauen nach wie vor im Beruf aus. © istock/dpa

Mannheim. Mit der Pandemie hat erstmals eine Wirtschaftskrise Frauen stärker getroffen als Männer, sagt die Mannheimer VWL-Professorin Michèle Tertilt. Die Folgen davon wirken nach - und könnten dazu führen, dass sich die Lohnschere weiter öffnet.

Frau Tertilt, die Pandemie könnte alte Rollenmodelle zwischen den Geschlechtern aufweichen - diese Hoffnung haben Sie im April 2020 in einer Studie geäußert. Wie ist Ihr Fazit heute: Sind Frauen Gewinnerinnen der Krise?

Michele Tertilt: Bis jetzt nicht. Die letzten zwei Jahre waren wir mitten in der Pandemie. Schulen waren immer wieder geschlossen, einzelne Klassen oder Kinder in Quarantäne: Das hat Mütter definitiv mehr beeinträchtigt als Väter. Unsere Hoffnung auf eine neue Rollenverteilung bezog sich eher auf die Zeit nach der Corona-Krise, wenn der Schul- und Kindergartenalltag wieder normal läuft.

Was soll dann anders sein?

Tertilt: Die Pandemie hat Telearbeit hoffähig gemacht - und davon profitieren arbeitende Mütter. Unter anderem, weil sie dadurch flexibler werden. In unserer Studie zeigen Daten aus England und den USA: In Berufen, in denen von zu Hause aus gearbeitet werden kann, haben Frauen ihre Arbeitszeit in der Pandemie nicht stärker reduziert als Männer. Da gab es keinen Gender Gap. Die Möglichkeit zum Homeoffice schützt Mütter also vor dem Jobverlust oder einer erzwungenen Stundenreduzierung. Zum anderen hat unsere Studie basierend auf amerikanischen Daten ergeben, dass sich Väter im Homeoffice wesentlich mehr an der Kinderbetreuung beteiligen: Sie verbringen 50 Prozent mehr Zeit mit ihren Kindern als Männer, die nicht von zu Hause aus arbeiten können.

Michele Tertilt lehrt und forscht an der Uni Mannheim. © Anna Logue

Glauben Sie, dass sich viele Väter auch noch nach der Pandemie stärker an der Kinderbetreuung beteiligen werden?

Tertilt: Es gibt zumindest Hinweise aus anderen Zusammenhängen, die das nahelegen - zum Beispiel die Vaterschaftsmonate. Die gibt es in Deutschland und anderen europäischen Ländern ja schon länger. Studien zeigen: Väter, die nach der Geburt eine Zeit lang zu Hause bleiben und sich um das Kind kümmern, bleiben auch langfristig involvierter bei der Betreuung - selbst wenn ihre berufliche Auszeit nur ein oder zwei Monate lang war. Die Hoffnung ist, dass sich das nun ähnlich verhält: Männer, die sich in der Pandemie stärker um die Kinder gekümmert haben, zum Beispiel, weil die Mutter in einem systemrelevanten Beruf arbeitet, bleiben auch danach engagierter dabei - zumal, wenn sie durch Homeoffice auch künftig flexibel sind. Bei der Telearbeit gibt es allerdings einen Risikofaktor, den man im Auge behalten muss.

Und der wäre?

Tertilt: Die Frage ist: Wenn beide Elternteile im Homeoffice sind, wer kümmert sich dann dort neben der Arbeit um die Kinder? Wir haben Daten in den Niederlanden im April 2020 erhoben, also während der Hochphase der Schulschließungen. Damals haben sehr viele Beschäftigte, die im Homeoffice waren, gleichzeitig ihre Kinder betreut, allerdings in unterschiedlichem Umfang. In unserer Studie finden wir, dass Mütter von schulpflichtigen Kindern während 76 Prozent ihrer Homeoffice-Zeit parallel für die Kinder verantwortlich waren. Bei den Vätern waren es nur 58 Prozent - immer noch viel, aber ein klarer Unterschied. Da muss man sehen, wie sich das einpendelt. Wenn die Mütter auch nach der Pandemie einen Teil ihrer Zeit im Homeoffice zum Beispiel mit Hausarbeit oder kranken Kindern verbringen und die Väter nicht, dann wird man irgendwann einen Produktivitätsunterschied sehen. Und der kann sich wiederum nachteilig auf das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen auswirken.

Vortrag in Mannheim

  • Michèle Tertilt ist Professorin für Makro- und Entwicklungsökonomie an der Uni Mannheim und seit kurzem Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
  • Die Akademie lädt gemeinsam mit der Uni Mannheim am Samstag, 30. April, 11 Uhr, zu einem Vortrag von Michèle Tertilt ein: „Katalysator oder Karrierebremse – Wie verändert sich die Arbeitswelt von Frauen durch die Coronakrise?“. Der Eintritt ist frei.
  • Ort: Aula der Uni Mannheim, oder im Live-Stream via YouTube: www.youtube.com/watch?v=Op7n3jxgbR4

Von solchen Langzeiteffekten mal abgesehen: Kurzfristig hat die Corona-Krise in jedem Fall viele Frauen hart getroffen, oder?

Tertilt: Tatsächlich hat mit der Pandemie sogar erstmals eine Wirtschaftskrise Frauen stärker getroffen als Männer. Das haben wir in unserer Studie für sehr viele Länder dokumentiert: in vielen EU-Ländern, in den USA, Kanada und England. Bisher waren es in Wirtschaftskrisen vor allem Männer, die ihre Jobs verloren haben oder ihre Stunden reduzieren mussten - dieses Mal waren es die Frauen.

Woran lag das?

Tertilt: Zum einen an den schon erwähnten Schul- und Kindergartenschließungen, die es weltweit gab. Zum anderen ist die Art der Jobs entscheidend: In bisherigen Wirtschaftskrisen waren die Industrie und der Bau stark betroffen, dort arbeiten sehr viele Männer. Die Pandemie hat dagegen vor allem Branchen beeinträchtigt, in denen Frauen beschäftigt sind: Gastronomie, Tourismus oder körpernahe Dienstleistungen wie Friseure.

Was sind die langfristigen Folgen?

Tertilt: Wir wissen, dass Frauen nach einem Jobverlust seltener wieder ins Berufsleben einsteigen als Männer. Es ist eben doch noch häufig so, dass Frauen Gering- oder Zweitverdiener sind und die Familie nicht so stark auf ihr Einkommen angewiesen ist. Das nimmt den Druck, schnell wieder eine neue Stelle zu finden. In den USA sehen wir zum Beispiel, dass die Erwerbstätigenquote bei Frauen - also der Anteil derer, die einen Job haben oder suchen - niedriger ist als vor der Pandemie. Ich rechne außerdem damit, dass die Lohnschere zwischen Männern und Frauen in Folge der Corona-Krise wieder stärker auseinandergehen wird.

Warum?

Tertilt: Viele Frauen haben durch die Pandemie Karrierechancen verpasst - sei es, weil sie ganz aus dem Beruf ausgestiegen sind, ihre Arbeitszeit reduziert oder die Rückkehr aus der Elternzeit verschoben haben. Jeder, der eine Zeit lang aus dem Job raus ist, ist am Arbeitsmarkt nicht mehr ganz up to date - das spiegelt sich mittelfristig im Lohn wider.

Es ist häufig kritisiert worden, dass die Politik Frauen - und vor allem Mütter - in der Pandemie im Stich gelassen hat. Kann sie das im Nachhinein zumindest noch ein Stück weit korrigieren?

Tertilt: Auch wenn die Zeit der Schulschließungen erst einmal vorbei ist: Es fehlt in Deutschland immer noch an allen Ecken und Enden an Kinderbetreuung. Es gibt bei weitem nicht genug Kitaplätze, die Betreuungszeiten sind im internationalen Vergleich sehr kurz, und es bräuchte mehr Ganztagsgrundschulen. Viele Einrichtungen sind zudem noch nicht zu den Öffnungszeiten von vor der Pandemie zurückgekehrt oder schließen an manchen Tagen kurzfristig früher, weil Personal fehlt. Da wird dann einfach davon ausgegangen, dass die Eltern, meistens eben die Mütter, jederzeit auf Abruf sind. Es hat sich also noch längst nicht alles wieder normalisiert - und es fehlt am Geld und am politischen Willen, das zu ändern.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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