Energie-Boykott gegen Putin

„Nicht nur Frage des Preises, sondern der Würde. Es geht um unsere nationale Identität“

Von Anna Parrisius
Veröffentlicht am 12.04.2022Lesedauer: 5 Minuten

Das Kohle-Embargo ist bereits beschlossen, doch ein Gas-Import-Verbot aus Russland will die Bundesregierung bisher nicht mittragen. Gleichzeitig will Wirtschaftsminister Habeck das Land jetzt bei der Energiesicherheit auf alles vorbereiten. Mit einem neuen Gesetz macht er den Anfang.

Angesichts des Kriegs in der Ukraine sind mehr Deutsche zu Verzicht bereit, als die Politik denkt, stellt Verhaltensökonom Armin Falk fest. Bundeskanzler Scholz verunsichere eher, als Mut zu machen. Falk erklärt, warum ein Energie-Boykott gegen Russland unabdingbar sei.

Als Verhaltensökonom erforscht Armin Falk, inwiefern Menschen ihr wirtschaftliches Verhalten nicht nur auf ihren eigenen Nutzen ausrichten, sondern auch von Fairness oder Vertrauen motiviert sind – und wie rational Menschen ökonomische Entscheidungen treffen. Mitte März hat sein Institut eine repräsentative Umfrage durchgeführt, bei der sich von den 2000 Befragten 69 Prozent für einen Importstopp für russisches Gas und Öl aussprachen.

WELT: Herr Falk, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Bürger dazu aufgerufen, sparsam Energie zu verbrauchen. Was halten Sie von solchen Verzichtsappellen?

Armin Falk: Ich finde es gut, an die freiwillige Kooperationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zu appellieren. Appelle allein bringen in der Regel aber nicht sonderlich viel, wichtiger sind Preissignale, Regulierungen, Anreize.

Warum ringt sich die Regierung nicht zu einem temporären Tempolimit durch? Eine große Mehrheit der Bundesbürger wäre dazu bereit, das zeigt unsere Befragung. Selbst unter FDP-Wählern spricht sich knapp über die Hälfte dafür aus.

Der Verhaltensökonom Armin Falk, 54, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und leitet das briq-Institut für Verhalten und Ungleichheit
Der Verhaltensökonom Armin Falk, 54, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn und leitet das briq-Institut für Verhalten und UngleichheitQuelle: J Henry Fair

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WELT: Sind die Deutschen generell bereit, sich beim Energieverbrauch einzuschränken?

Falk: Die Mehrheit, ja. Zwei Drittel der von uns Befragten würden höhere Preise beim Tanken akzeptieren, wenn sich dadurch der Druck auf Putin erhöhen lässt. Ein Drittel sprach sich Mitte März sogar dafür aus, 30 Cent und mehr pro Liter zu akzeptieren, wir nahmen den Durchschnittspreis von Super E10 als Maßstab, der Mitte März bei durchschnittlich 2,17 Euro lag. Die Akzeptanz kam dabei von Wählern aller Parteien, mit Ausnahme der AfD – am höchsten war sie bei den Grünen mit 88 Prozent.

Ebenfalls zwei Drittel waren bereit, einen weiteren Anstieg der monatlichen Heizkosten in Kauf zu nehmen, knapp 58 Prozent würden mindestens zehn Euro an Zusatzkosten akzeptieren, 31 Prozent sogar zwanzig Euro oder mehr. Bei denen, die ein höheres Einkommen haben, war die Bereitschaft naturgemäß größer und im Westen war sie höher als im Osten. Insgesamt sind das ermutigende Zahlen.

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WELT: Hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seiner Forderung eines weitreichenden Tankrabatts die Bevölkerung also unterschätzt?

Falk: Ja. Ein allgemeiner Tankrabatt wäre sowieso Irrsinn, da man damit ja gerade überproportional wohlhabende Haushalte schont, Leute also, die eher einen hohen Spritverbrauch haben, weil sie große, schwere Autos schnell fahren. Auch das jetzt beschlossene Energiegeld über 300 Euro halte ich für fragwürdig.

Der Staat sollte nicht mit der Gießkanne Geld ausschütten, sondern gezielt soziale Härten abfedern, durch Zuschüsse für die Heizkosten besonders bedürftiger Haushalte oder eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Er könnte sich dabei auf Solidarität stützen: In unserer Befragung zeigten einkommensstärkere Personen mehrheitlich Bereitschaft, Leute zu unterstützen, die jetzt besonders stark unter den hohen Energiepreisen leiden.

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WELT: Erwarten Sie, dass die Stimmung auf lange Sicht aufgrund von Wohlstandsverlusten noch kippen könnte und das den sozialen Frieden gefährdet?

Falk: Ich denke, wir sind in Deutschland in der Lage, gesellschaftliche Spannungen auszuhalten und auszutragen. Außerdem sind wir gut darin sind, sozialen Ausgleich zu schaffen, das hat die Pandemie gezeigt. Wenn es zu einer Verknappung von Gas kommt, sollten wir für die betroffenen Branchen das Kurzarbeitergeld erneut ausweiten.

Soziale Proteste wie von den Gelbwesten erwarte ich hierzulande nicht. Angst ist auch ein schlechter Ratgeber. Dass wir durch den Krieg ärmer werden, steht außer Frage, aber wir sollten beherzt vorangehen und Härten bekämpfen.

WELT: Wie beurteilen Sie die Krisen-Kommunikation der Bundesregierung?

Falk: Ich stelle mit Bedauern fest, dass gerade Bundeskanzler Scholz eher Bedenken vorträgt und verunsichert, statt proaktiv zu sagen: Wir sind in einer schwierigen Situation, aber wir können das schaffen! Die Pandemie hat uns doch gezeigt, dass eine Krise immense Energien freisetzen kann, betrachte man allein die Entwicklung des Impfstoffs.

Ich würde mir einen Bundeskanzler wünschen, der sich dafür ausspricht, dass Deutschland modern und widerstandsfähig wird und der bereit ist, dafür einen schwierigen Weg einzugehen. Wenn er dafür abgewählt wird, ist das dann eben so. Deutschland ist ein starkes Land und wir können sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Wir sollten mehr auf die Chancen-Seite schauen.

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WELT: Was meinen Sie konkret?

Falk: Wir sehen bereits, dass der Krieg die Nato stärkt, den Zusammenhalt in der EU, insgesamt die westlichen Demokratien. Wir sind nicht allein und könnten vorübergehend auch Atomstrom oder erdgasintensive Grundstoffchemie aus anderen Ländern Europas beziehen. Deutschland muss außerdem aufgrund der Klimakrise ohnehin seine Energieversorgung umstellen, der nötige Strukturwandel wird nur beschleunigt.

Hier vermisse ich von den Grünen Aktivität. Wo ist nach den 100 Milliarden für die Bundeswehr ein vergleichbares Sofortprogramm für erneuerbare Energien?

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WELT: Kurzfristig würde das nicht helfen.

Falk: Nein, daher wäre ich auch dafür, Braunkohle oder Atomkraft länger zu nutzen. Unsere Umfrage zeigt, dass sogar die Hälfte der Grünen-Wähler bereit wäre, eine Verlängerung von Atomkraftwerken zu tolerieren. Wir müssen uns aber auch fragen, wo wir in zwei Jahren stehen. Wer weiß, wie lange die Krise anhält.

Daher sollten wir die Windkraft ausbauen, Bewilligungsverfahren beschleunigen, Abstandsregeln und Speicherfragen klären, den Trassenbau beschleunigen. Die Frage ist ja auch, ob wir überhaupt eine Alternative dazu haben, jetzt eine Vision zu entwickeln. Vielleicht dreht Putin uns selbst den Hahn ab. Und selbst, wenn nicht: Wollen wir einen brutalen Aggressor, einen Diktator weiter unterstützen? Sicherlich nehmen wir mit einem Embargo nicht direkt Einfluss auf den Kriegsverlauf, aber mittelfristig können wir etwas bewirken.

Am Ende ist es nicht nur eine Frage des Preises, sondern der Würde. Es geht dabei um unsere nationale und europäische Identität. Auch sie ist für unseren sozialen Frieden von Bedeutung.

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